Die Corona-Pandemie stellt vor allem die Beschäftigten im Gesundheitswesen vor große Herausforderungen. Pflegekräfte leisten bewundernswerte Arbeit, für die Applaus allein nicht genügt. Personalmangel, harte Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung – Martin Holderied wollte wissen, was in der Krankenpflege los ist und wie die Situation verbessert werden kann. Dazu sprach der SPD-Bundestagskandidat für die Region Allgäu-Bodensee in einer live gestreamten Diskussionsveranstaltung mit Seija Knorr-Köning, Krankenpflegerin am Klinikum rechts der Isar, dem Lindenberger Hausarzt Dr. Raimund Bischof und Dr. Gerhard Wimmer, Oberarzt im Klinikverbund Allgäu.
Hausarzt Dr. Bischof betonte, wie wichtig die ambulante Krankenpflege für Menschen ist, die gerade aus dem Krankenhaus entlassen wurden. Hier spielt auch der demographische Faktor eine große Rolle, da gerade ältere Menschen auf Pflege und Betreuung, nicht nur nach einem Krankenhausaufenthalt, verstärkt angewiesen sind. „Insbesondere im ländlichen Raum beobachten wir, dass es zu wenige Hausärzte gibt, die immer mehr Patientinnen und Patienten betreuen müssen. Hier spielt die ambulante Krankenpflege eine wichtige Rolle bei der Versorgung,“ so Bischof.
Ambulante Pflege spielt im ländlichen Raum eine wichtige Rolle
Anästhesist Dr. Wimmer berichtete aus dem Klinikalltag und von der hohen Arbeitsbelastung beim klinischen Personal. Für ihn ist die Finanzierung der Kliniken ein wichtiges Thema, da sich der Staat hier immer mehr zurückgezogen hat und forderte: „Die Finanzierung der Kliniken muss neu organisiert werden. Derzeit müssen bauliche Maßnahmen und die Anschaffung von Großgeräten über die Einnahmen aus Behandlungen finanziert werden, das führt zu einem enormen Druck im Klinikalltag.“ Die Einnahmen der Kliniken erfolgten in erster Linie über die Abrechnung von Fallzahlen, die mit dem Schweregrad einer Behandlung multipliziert werden. Hohe Fallzahlen erreichten die Kliniken zum Beispiel durch kurze Verweildauern in den Kliniken, die gleichzeitig auch eine hohe Belastung für die Pflegekräfte bedeuten.
„Die Finanzierung der Kliniken muss neu organisiert werden“
Für Seija Knorr-Köning war der Berufseinstieg als Gesundheits- und Krankenpflegerin zuerst ernüchternd, hatte sie doch Pflege als einen Prozess gelernt. Dafür war und ist jedoch im Stationsalltag oft keine Zeit. Denn die Pflegekräfte müssen sich um viele Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichen Krankheitsbildern gleichzeitig kümmern. Dazu kommen mit den aufwändigen Dokumentationspflichten viele zeitraubende Verwaltungsaufgaben. „Wir brauchen dringend eine echten Personalbemessung, die sich nicht an der Zahl der Betten orientiert, sondern am tatsächlichen Versorgungsbedarf der Patienten. Und zweitens muss der Dokumentationsaufwand verringert und vor allem digitalisiert werden”, forderte Knorr-Köning.
Der tatsächliche Versorgungsbedarf der Patientinnen und Patienten gehört in den Mittelpunkt
Im Laufe der Diskussion meldeten sich weitere Pflegefachkräfte zu Wort, die von ihren Erfahrungen erzählten. Bei einer Pflegefachkraft hatte die enorme Arbeitsbelastung und auch die Situation der Schichtdienste dazu geführt, dass sie inzwischen den Arbeitsplatz gewechselt hat. Dies bedauerte Knorr-Köning, die durch viele Beispiele aus ihrem Arbeitsumfeld wusste, dass Pflegefachkräfte trotz ihrer Begeisterung für den Beruf entweder in die Zeitarbeit wechseln, wo höhere Löhne gezahlt würden, oder ganz den Beruf aufgeben würden. Auch die beiden Ärzte bedauerten die Entwicklung, da so sehr viel Erfahrung verloren ginge. Alle betonten, dass nicht nur eine bessere Bezahlung, sondern vor allem eine bessere Planbarkeit der Arbeitszeiten und eine deutliche Entlastung der Pflegekräfte bei der Dokumentation und der Anzahl der zu betreuenden Patientinnen und Patienten nötig seien, um die Pflegeberufe auf Dauer attraktiv zu halten. Ebenso müsse über eine weitere Akademisierung des Berufs nachgedacht werden, um Weiterbildungsmöglichkeiten und weitere Aufgabenfelder für Pflegefachkräfte zu erschließen.
Die guten Klinikstrukturen im Allgäu erhalten und stärken
Die guten Klinikstrukturen im Allgäu zu erhalten und zu stärken, war für alle Teilnehmenden sehr wichtig. Denn bei Notfällen kann jede Minute bis zum Erreichen einer Klinik über Leben und Tod entscheiden. Gastgeber Martin Holderied betonte, dass Staat und Gesellschaft hier wieder mehr Verantwortung übernehmen müssten. Er sah insbesondere die Privatisierung von Kliniken kritisch: „Aktionäre dürfen nicht zu Lasten der Gesundheit der Menschen Gewinne einfahren. Die Finanzierung unseres Gesundheitssystems muss durch eine Bürgerversicherung gerecht auf alle Schultern verteilt werden. Auch der Staat muss sich wieder stärker an der Finanzierung der Krankenhäuser beteiligen und zum Beispiel die Digitalisierung stärken.“